Badische Zeitung Lörrach, Weil am Rhein, 31.08.2022

 

„Die Kerngemeinde ist alt geworden“

BZ-Interview mit Pfarrer Dirk Fiedler zu seinem Abschied von der Kirchengemeinde Binzen-Rümmingen und zum Glööckler-Fenster

Binzen/Rümmingen. Nach genau elf Jahren als Pfarrer verlässt Dirk Fiedler die Kirchengemeinde Binzen-Rümmingen. Im Gespräch mit Moritz Lehmann blickt Fiedler auf diese Zeit zurück und begründet seinen Wechsel in den Schuldienst. Denn dieser hat auch damit zu tun, dass immer mehr Menschen die Kirche verlassen.

BZ: Als Sie am 1. September 2011 Ihren Dienst antraten, taten Sie dies als Pfarrer zweier eigenständiger Gemeinden. Wie kam es zur Fusion im Jahr 2013?
Fiedler: Sie war mein erstes großes Projekt. Rümmingen hatte sich in den 1980er Jahren selbstständig gemacht. Als ich kam, stellte man fest, dass die Phase des Separatismus überkommen war. Es sollte zusammenwachsen, was zusammen gehört. Ich hätte das nicht gegen den Widerstand der Gemeinden durchgesetzt. Ich habe immer geschaut: Wo geht die Gemeinde mit, was ist mit ihren Mitgliedern möglich? Und mit denen war eine Menge möglich.

BZ: Zum Beispiel?
Fiedler: 2014 machte ein Zirkus die Binzener Kirche zur Manege, für das Luther-Mahl wurde sie 2017 zu einem Bankett-Saal umgebaut, 2018 haben wir dort ein großes Lego-Bauprojekt gemacht. Für so etwas wurde immer Geld in die Hand genommen, und das hat sich ausgezahlt.

BZ: Welche Impulse haben Sie in den vergangenen elf Jahren gesetzt?
Fiedler: Dass man nicht immer nur schaut, was man noch verbessern kann. Sondern auch mal innehält und dankbar dafür ist, was man bewegt hat.

BZ: Wo steht die Gemeinde heute?
Fiedler: Die Kerngemeinde ist alt geworden. Diejenigen, die sie in den letzten 30 Jahren geprägt haben, wollen, dass Jüngere übernehmen. Aber die Jungen tun sich schwer. Es ist bezeichnend, dass man für Aufgaben wie Diakonie oder den Vorsitz der Gemeindeversammlung derzeit niemanden hat.

BZ: Ein physisches Vermächtnis Ihrer Zeit als Pfarrer wird das von Harald Glööckler für Rümmingen designte Kirchenfenster sein, das am 9. September enthüllt wird. Was bedeutet das für Sie?
Fiedler: Ich bin sehr stolz, dass das mit Rümmingen machbar war. Der Großteil der Spenden dafür kommt aus dem Ort. Auch Bürger anderer Konfessionen und ohne Konfession haben dafür gespendet. Es ist nicht nur ein Projekt der Kirchengemeinde, sondern des ganzen Ortes. Die Jakobuskirche nimmt in der Schaffung eines Rümminger Dorfzentrums, das sich Bürgermeisterin Daniela Meier auf die Fahne geschrieben hat, eine exponierte Rolle ein. Wir arbeiten intensiv mit der politischen Gemeinde zusammen, gemeinsam haben wir den vorderen Teil des Dorfplatzes gestaltet. Kirche ist kein Verein, der nur für seine Mitglieder da ist, sondern immer auch für den ganzen Ort.

BZ: Dass eine Persönlichkeit wie der Modedesigner Harald Glööckler ein Kirchenfenster entwirft, ist ungewöhnlich. Steckt dahinter der Wunsch, mit etablierten Strukturen zu brechen, vielleicht sogar nach ein bisschen Provokation?
Fiedler: Harald Glööckler ist immer für eine Provokation gut.

BZ: Und Sie haben sich Herrn Glööckler für diese Aufgabe ausgesucht.
Fiedler: Ich war einfach gespannt, wie weit ich damit komme. Harald Glööckler hat das Buch mit dem Titel „Kirche öffne dich!“ geschrieben. Und siehe da: Das ist möglich. Kirche leidet oft darunter, dass sie ihren eigenen Klischees folgt, unbeweglich und starr ist. Das muss sie nicht, und sie ist es an vielen Stellen auch nicht. Das sieht man aber häufig erst auf den zweiten Blick.

BZ: Die Kirchen leiden unter Mitgliederschwund. Wie erklären Sie sich den Bedeutungsverlust der Kirche?
Fiedler: Wir erleben gerade irre gesellschaftliche Umbrüche. Die Privatisierung des Öffentlichen ist extrem vorangeschritten. Es gibt viel Toleranz für das, was Menschen im Privaten machen. Was öffentlich gemacht wird, wird stark kritisiert. Deshalb wagt sich kaum jemand mehr aus dem Privaten heraus. Menschen suchen individualisierte Erfahrungen – beim Sport, im Urlaub sowie bei der Entwicklung ihrer Persönlichkeit. In einer Kirchengemeinde muss man sich deshalb auf andere Menschen einlassen – das ist in diesen Zeiten sozusagen ein Anachronismus.
BZ: Ähnliche Probleme also, über die Vereine klagen.
Fiedler: Es ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Kirche ist dann schuld, wenn sie Menschen enttäuscht – zum Beispiel die katholische Kirche in der Aufarbeitung ihrer Probleme. Viele Menschen sind aber einfach nicht bereit, sich auf so ein großes Gemeinschaftsprojekt einzulassen. Sie sehen sich nicht in der Verantwortung, durch ihre Kirchensteuerbeiträge eine kulturelle Institution zu unterstützen, die großes soziales und karitatives Engagement zeigt.

BZ: Wie sollte Kirche damit umgehen?
Fiedler: Ich wechsele sehr bewusst in den Schuldienst. In vielen Familien wird nicht mehr über Religion und ihre Rolle in der Gesellschaft gesprochen. In Gesprächen mit Schülerinnen und Schülern habe ich festgestellt, dass sie viele Fragen haben. Sie stellen fest, dass sie viel mehr über Religion sprechen müssten, um unsere Welt besser verstehen zu können. In der Schule habe ich die, die noch mit dem kleinen Zeh in der Tür stehen. Die muss ich überzeugen. Ich möchte Menschen Lust darauf machen, sich an Kirche zu beteiligen.

BZ: Was aus Ihrer Zeit als Pfarrer für Binzen und Rümmingen werden Sie vermissen?
Fiedler: Die Gebäude und die Begegnung mit den Menschen darin. Ich habe viel Herzblut in den Pfarrgarten, die Gemeindehäuser und Kirchen gesteckt, da ist überall meine Handschrift zu sehen. Ich hoffe, dass all das weiterhin gut gepflegt wird.

BZ: Und was nicht?
Fiedler: Ansprüche von Menschen, die keinerlei Bereitschaft haben, sich zu beteiligen.

BZ: Wie geht es in der Gemeinde ohne Sie weiter?
Fiedler: Die kirchliche Landschaft ist im Umbruch. Die Pfarrgemeinden in ihrer bestehenden Form wird es in der badischen Landeskirche perspektivisch nicht mehr geben. Die Gemeinde Binzen-Rümmingen wird eine der ersten sein, die das betrifft. Derzeit werden Distrikte gebildet, für die es einen Schlüssel an Pfarrstellen geben wird. Die klassischen Ortspfarrerinnen und Ortspfarrer wird es aber nicht mehr geben.
Zur Person: Der 48-jährige Dirk Fiedler war als Pfarrer in Moers und im österreichischen Gosau tätig, bevor er 2011 Pfarrer der Gemeinde Binzen-Rümmingen wurde. Ab September wird er als Religionslehrer am Neuenburger Gymnasium und an der Mathilde-Planck-Schule in Lörrach tätig sein.