Badisches Tagblatt Baden-Baden, 09.08.2022

 

„Wir wollen Menschen zusammenbringen“

Der nationale Koordinator der bevorstehenden ökumenischen Vollversammlung, der Karlsruher Marc Witzenbacher, im Interview

Karlsruhe – Das Ende August anstehende Ökumene-Treffen in der Fächerstadt soll ein großes Fest werden, bei dem sich die Christenheit als bunte Gemeinschaft zeigt. Der Karlsruher Marc Witzenbacher bereitet das Großereignis als nationaler Koordinator vor. Im Interview mit BT-Redakteur Dieter Klink berichtet er über den Stand der Vorbereitungen, knifflige Situationen mit der russischen Orthodoxie und Antisemitismusvorwürfe. Und er sagt, warum er das Treffen für ein historisches Ereignis hält.



BT: Herr Witzenbacher, warum findet die Vollversammlung in Karlsruhe statt?

Marc Witzenbacher: Die Entscheidung fiel zwischen Karlsruhe und Kapstadt. Der Zentralausschuss des ÖRK hat 2018 Karlsruhe ausgewählt, auch weil Europa mal wieder an der Reihe war. Seit mehr als 50 Jahren gab es in Europa keine ÖRK-Vollversammlung mehr.



BT: Die Planungen laufen also schon länger?

Witzenbacher: Die Einladung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zusammen mit den Kirchen in der Schweiz und in Frankreich lag schon länger vor. Wir wollen die Gäste aus aller Welt hierher holen, denn in Europa fokussieren sich viele Themen, die die ganze Welt betreffen: Themen wie Nationalismus, Rassismus, Populismus, Digitalisierung und Gefahr für die Demokratie, Klimawandel und natürlich auch Säkularisierung.

BT: Und Karlsruhe ist dafür der richtige Ort?

Witzenbacher : Ja klar. Natürlich gab es auch EKD-intern Diskussionen, welche Stadt am geeignetsten wäre. Man wollte aber bewusst in eine mittlere Großstadt und nicht in eine Metropole, weil es hier in Karlsruhe überschaubare Wege gibt. Das Kongresszentrum liegt mitten in der Stadt. Die Grenznähe zu Frankreich und der Schweiz hat auch eine große Rolle für die Vergabe gespielt. In einer Millionenstadt wie Berlin oder Hamburg würde so ein Event einfach untergehen.



BT: Aber auch Karlsruhe hat noch nicht so richtig viel von dem bevorstehenden Ereignis mitbekommen. Beim Bekanntheitsgrad hat die Versammlung noch Luft nach oben.

Witzenbacher: Es ist immer schwierig, so ein Ereignis der breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Aber es gibt weltweit viel Interesse, viele Gruppen haben sich schon angemeldet, 3.500 Teilnehmer haben sich bisher registriert. Aber es ist wie so oft: Wer sich in einer Gemeinde dafür interessiert, lässt sich auch dafür begeistern, hier in Karlsruhe teilzunehmen. Wer sich nicht für Ökumene interessiert, ist vielleicht etwas weiter weg von dem Thema. Aber wir haben breit Informationen gestreut und werden das Treffen in der Stadt sichtbar machen.



BT: Was hat die Stadt und was haben die Karlsruherinnen und Karlsruher denn davon?

Witzenbacher: Kirche ist so vielfältig, so bunt, so international, das lässt sich alles in Karlsruhe erfahren. Wir in Deutschland denken bei Ökumene ja immer an katholisch-evangelisch. Aber es gibt noch so viel mehr: Hier kommen Kirchen aus Afrika, aus Asien, aus Südamerika, aus Australien zusammen, das ergibt ein richtig buntes Bild an Christentum. Diese Kirchen gibt es zum Teil auch in Karlsruhe, zum Beispiel die Orthodoxie, aber sie sind in der Öffentlichkeit nicht so präsent. Es geht in Karlsruhe darum, diese Vielfalt sichtbar zu machen. Dass die Leute spüren, die Welt-Ökumene hat ein ganz besonderes Flair.



BT: Ökumene, so hat man in Deutschland den Eindruck, ist erlahmt. Es bewegt sich kaum noch etwas.

Witzenbacher: Ja, das stimmt und das ist schade. Wir haben schon so viel erreicht, aber man könnte viel mehr tun. Es gibt viele Papiere, die von den Kirchen nicht aufgegriffen wurden und im Dornröschenschlaf vor sich hin schlummern. Der ÖRK hat keine Entscheidungsgewalt über die Mitgliedskirchen, sie sind frei in ihren Handlungen. Aber sie verpflichten sich, die beschlossenen Texte umzusetzen. Ich erhoffe mir daher von Karlsruhe mehr Schwung für die Ökumene. Ich hoffe, dass man die Einheit konkreter gestalten kann, als wir das bisher tun. Ob das der Ökumene insgesamt einen großen Schub verleiht? Ich weiß es nicht, aber der Heilige Geist weht ja, wo er will (lacht).



BT: Was war bei der bisherigen Planung das Hauptproblem?

Witzenbacher: Lange Zeit war das Corona. Bis ins Frühjahr hinein war nicht klar, ob die Versammlung überhaupt stattfindet oder nicht. Sie wurde ja wegen Corona schon von 2021 auf 2022 verschoben. Wir hatten schon unterschiedliche Szenarien entwickelt, mit genügend Abstand und Hygieneregeln. Jetzt sind wir in einer einigermaßen komfortablen Situation, aber wer weiß, wie das Ende August aussieht. Und jetzt erschwert natürlich der Ukraine-Krieg die Planungen und die Reisemöglichkeiten. Es geht dabei auch um die Frage, ob alle, die nach Karlsruhe reisen wollen, rechtzeitig ein Visum erhalten.



BT: Eine Delegation der russisch-orthodoxen Kirche hat sich auch angesagt. Ist sie ein Spaltpilz für die Ökumene?

Witzenbacher: Das Verhältnis zur russischen Orthodoxie und die Spannungen werden auf jeden Fall ein Thema bei der Versammlung sein. Auf einem Plenum soll über den Ukraine-Krieg diskutiert werden. Dort werden Ukrainer und Russen an einem Tisch sitzen und hoffentlich friedlich diskutieren. Der ÖRK hat sich ja bewusst dafür entschieden, die russisch-orthodoxe Kirche nicht auszuschließen, wie durchaus gefordert wurde.



BT: Weshalb?

Witzenbacher: Der ÖRK will bewusst den Dialog führen und damit Menschen zusammenbringen. Vielleicht kann die Verständigung zwischen den Kirchen auch dazu beitragen, den Frieden zwischen den Völkern wiederherzustellen. Die russisch-orthodoxe Kirche auszuschließen, würde ihr nicht gerecht. Der Patriarch Kyrill hat sich deutlich pro Krieg geäußert, es haben sich aber auch viele innerhalb seiner Kirche davon distanziert und durch ihr Votum große Gefahr auf sich genommen.



BT: Ein Problem kam hinzu: Der ÖRK sieht sich Antisemitismusvorwürfen ausgesetzt. Wie gehen Sie damit um?

Witzenbacher: Das Thema Antisemitismus wird auf der Vollversammlung auch eine Rolle spielen, aber mit der Fragestellung, wie man ihn bekämpfen kann. Der ÖRK hat sich aber schon immer auch für die Kirchen im Heiligen Land eingesetzt. Der Rat weiß auch um die besondere Sensibilität des Themas in Deutschland. Wichtig ist, auf die Stimmen der Kirchen vor Ort zu hören. Dass sich der ÖRK immer stark für die Belange Palästinas eingesetzt hat, ist keine Neuigkeit. Er hat aber schon 1948 Antisemitismus als Sünde verurteilt und engagiert sich stark im christlich-jüdischen Dialog, das ist aber leider nie so breit bekannt geworden.



BT: Dennoch gab es massive Vorwürfe im Vorfeld, unter anderem vom Deutsch-Israelischen Freundeskreis.

Witzenbacher: In der Vorbereitung der Vollversammlung gab es aber auch eine enge Zusammenarbeit mit der jüdischen Gemeinde in Karlsruhe. Ich sehe da keine Gefahr für unser gutes Verhältnis, aber klar, bei einer Gemeinschaft von 350 Kirchen wissen wir nicht, was diese Kirchen alles an Themen einbringen wollen, zum Beispiel die Politik des Staats Israel in den besetzten Gebieten zu kritisieren. Aber wir sagen als Gastgeber klar: Ihr müsst euch bewusst sein, in welchem Kontext Ihr das tut, vor welcher geschichtlichen Verantwortung wir Deutschen das Thema diskutieren. Die EKD hat sich klar positioniert: Wir werden nie das Existenzrecht Israels infrage stellen oder uns an Boykott-Aktionen beteiligen. Da haben die Kirchen in Deutschland eine klare Aussage getroffen, die auch unsere Gäste nicht missverstehen können.



BT: Welches Signal soll von Karlsruhe ausgehen?

Witzenbacher. Es geht nicht nur um Einheit der Kirchen, sondern auch der Menschen und der Gesellschaft. Die Menschheit ist bunt und vielfältig, es gibt so viele verschiedene Stile und Meinungen. Wichtig ist, dass wir friedlich miteinander auskommen. Für alle Menschen guten Willens soll genau das das Signal aus Karlsruhe sein.



BT: Und dann dauert es wieder acht Jahre bis zur nächsten Vollversammlung?

Witzenbacher: Ja. Wo sie stattfinden wird, wird der Zentralausschuss in vier bis fünf Jahren entscheiden. Dann sicher wieder außerhalb von Europa. Klar ist auch: Zu meinen Lebzeiten wird so eine Versammlung nicht mehr nach Deutschland kommen. Das Treffen in Karlsruhe ist insofern ein historisches Ereignis.