Rhein-Neckar-Zeitung - Heidelberger Nachrichten, 29.09.2023

 

Die „Bibliotheca“ wird wieder erlebbar

Bund fördert Umbau-Konzept für die Heiliggeistkirche mit fast sieben Millionen Euro – Digitale Ausstellung auf den Emporen geplant

Alexander Wenisch

Die frohe Botschaft kam aus Berlin. Und als Pfarrer Vincenzo Petracca sie am Donnerstagvormittag verkündete, brach Jubel in der Heiliggeistkirche aus. Der Bund unterstützt die Neugestaltung der Altstadtkirche. 6,85 Millionen Euro gibt es aus dem Kulturförderprogramm, die gleiche Summe muss noch über Spenden dazukommen, damit die Evangelische Kirche Heidelberg ihre große Vision für Heiliggeist umsetzen kann.

Geplant sind einige bauliche Veränderungen. Eine davon wurde im Rahmen einer Bauhütte in den vergangenen Tagen schon verwirklicht: Der Boden im Langschiff wurde mittels Holzpodest angehoben. Beteiligt hatten sich Bauleute der Badischen Landeskirche, der Heidelberger Gemeinde und Bürger aus der Stadtgesellschaft. Ein echtes Gemeinschaftsprojekt, das mit der Förderzusage gestern quasi den letzten Schliff erhielt.

Das Herzstück der Neugestaltung hat aber eine wesentlich größere Strahlkraft: die Bibliotheca Palatina. Die legendäre kurpfälzische Bibliothek, die einst auf den Emporen der Heiliggeistkirche stand, soll dorthin zurückkehren. Nicht wie 1986 in einer einmaligen Ausstellung, sondern als dauerhafte Installation. Gezeigt werden anders als damals auch keine echten Bücher – sie sollen digital und virtuell erlebbar werden. Dekan Christof Ellsiepen ist überzeugt: Kirche und Ausstellung werden zum neuen Besuchermagnet in der Altstadt neben Schloss und Alter Brücke.

Auf den 300 Quadratmeter großen Emporen der Kirche herrscht momentan noch gähnende Leere. Nur eine verstaubte Vitrine lässt erahnen, dass hier 1386 die heutige Universität Heidelberg gegründet wurde. Die Geschichte der „Mutter aller Bibliotheken“ vom Mittelalter bis heute will die Ausstellung in neun Stationen erzählen. Verantwortlich dafür ist das „Atelier Brückner“ aus Stuttgart, das beispielsweise beim „Grand Egyptian Museum“ in Gizeh mitarbeitet. Britta Nagel und Sarah Glöckner stellten das Konzept am Donnerstag vor.

Aufgeteilt werden soll die Ausstellung in zwei inhaltliche Blöcke. Auf der Südempore richtet sich der Blick zunächst nach Europa: Auf welchen Wegen wurde damals Wissen vermittelt? Dann zoomt die Ausstellung immer näher ran: legt den Fokus auf Heidelberg, auf die Universitätsgeschichte und eben auf Heiliggeist, damals mit der „Bibliotheca“ der Knotenpunkt im europäischen Wissensaustausch. 1623 wurden die über 16 000 prachtvollen Drucke und Handschriften geraubt und in den Vatikan gebracht. Dort lagern sie noch heute, sind aber längst komplett digitalisiert.

Beleuchtet werden soll auch die wechselvolle Geschichte der Kirche zwischen den Konfessionen, erläutert Nagel ihre Ideen. Und am Ende: der legendäre „Codex Manesse“, der im Original in der Unibibliothek liegt. Er soll als „begehbares Buch“ auf Dutzenden digitalen Seiten erlebbar werden. An jeder Station soll zudem inhaltlich eine Brücke zur Gegenwart geschlagen werden.

Eine ganz reale Brücke wird – auch das eine geplante Umbaumaßnahme – das Langschiff überspannen und Süd- mit Nordempore verbinden. Im zweiten Teil der Ausstellung wird die Palatina auf unterschiedlichen digitalen Wegen erfahrbar: über VR-Brillen beispielsweise oder über Modelle, die von Künstlicher Intelligenz erzeugt wurden. Besucher sollen aber auch erleben, wie Papier und Bücher hergestellt werden – ganz echt und analog.

Zielgruppe seien natürlich bibliophile Menschen, aber auch Wissenschaftler, die die Uni am Ort ihrer Entstehung wieder erleben können. Zudem soll die Ausstellung so konzipiert sein, dass sich auch Schüler für Geschichte begeistern.

Aber wird Kirche so zum Museum? Landesbischöfin Heike Springhart sieht darin kein Problem. „Heiliggeist ist ein starker Ort“, sagt sie während der Vorstellung des Konzepts. „Wir müssen unsere Potenziale bestmöglich nutzen.“ Dass der Staat jetzt die Heidelberger Ideen unterstützen will, zeige, dass Kirchen für mehr stünden als für die reine Glaubensvermittlung: „Hier kommen Geist, Wissen, Kultur, Religion und Glauben zusammen – das war schon immer so und geht jetzt weiter.“

Pfarrer Florian Barth ist denn auch überzeugt, dass die Förderung auch deshalb gewährt wird, weil „das Gesamtkonzept stimmt“. Acht Jahre sei jetzt Zeit, Spenden zu sammeln und das Projekt umzusetzen. Hinter diesem steht auch Frieder Hepp, Leiter des Kurpfälzischen Museums, der die bereits 2014 geborene Idee seit Jahren unterstützt. „Er hat uns immer angetrieben, größer zu denken: Die Palatina gehört nicht in ein paar staubige Vitrinen“, erzählt Dekan Ellsiepen. Hilfreich bei der aktuellen politischen Entscheidung war sicher auch, dass der „Codex Manesse“, diese mittelhochdeutsche Lied- und Spruchdichtung aus den Jahren 1300 bis 1340, just im Mai in die Liste des Weltdokumentenerbes der Unesco aufgenommen wurde.

Im politischen Berlin haben sich indes die beiden Heidelberger Abgeordneten Franziska Brantner (Grüne) und Alexander Föhr (CDU) über die gute Nachricht gefreut. „Die Heiliggeistkirche hat eine kaum zu überschätzende Bedeutung für die Menschen in Heidelberg. Es freut mich, dass durch dieses Projekt ein lang ungenutzter Raum wieder zugänglich wird“, so Föhr. Und Brantner ist überzeugt: „Die moderne Ausstellung wird Heidelberg als Kultur- und Tourismuszentrum mit internationaler Strahlkraft voranbringen.“