Die nie endende Millionenfrage
Dieter KlinkDebatte um Staatsleistungen an die Kirchen
Karlsruhe. Die Ampel nimmt Anlauf, eine Altlast zu beseitigen. Sie reicht zurück ins 19. Jahrhundert. Damals wurden viele Kirchengüter enteignet, im Gegenzug erhielten die Kirchen von den Fürsten regelmäßige Zahlungen als Entschädigung. Im Prinzip ist das bis heute so. Dürfte aber nicht so sein. Denn die Weimarer Verfassung sah 1919 vor, dass es damit ein Ende haben soll, auch das Bonner Grundgesetz hat den Auftrag 1949 übernommen, doch geschehen ist seitdem nichts. Nun nimmt sich die Ampel in Berlin der Sache an. Der Bund muss die Ablösung der Staatsleistungen per Gesetz regeln, die Länder müssen zahlen - und wollen nicht.
Lars Castellucci, SPD-Bundestagsabgeordneter aus Wiesloch und einer der Initiatoren des Ablöse-Vorhabens, lässt den Ländern das Nein nicht durchgehen. Er sucht den Konsens mit allen. „Wir wollen mit den Kirchen und Ländern vorher reden, bevor wir ein Gesetz vorlegen. Und wir suchen nach Möglichkeiten, wie Einigkeit erreicht werden kann“, sagt Castellucci unserer Redaktion.
Um welche Zahlen geht es? Im Jahr 2022 zahlten die Länder 600 Millionen Euro an die Kirchen. In Baden-Württemberg sind es laut Landesregierung derzeit 141 Millionen Euro jährlich, wovon 18,4 Millionen an die Evangelische Landeskirche Baden und 34 Millionen an das Erzbistum Freiburg gehen. Es handelt sich um nicht zweckgebundene Mittel, die in die jeweiligen Kirchenhaushalte fließen. Daraus „werden neben den Ausgaben für Seelsorge, Bildung und anderen Leistungen auch die Personalkosten finanziert“, sagt Michael Hertl von der Pressestelle des Erzbistums Freiburg. Bei der evangelischen Landeskirche fließen nach eigenen Angaben 90 Prozent der Landes-Gelder in die Pfarrergehälter und Ruhestandsbezüge.
Mit den Zahlungen soll nun Schluss sein, die Ampel hat dafür eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Man hat sich bisher fünf Mal im Bundesinnenministerium getroffen: Vertreter von Bund, Ländern und Kirchen. Das letzte Treffen fand im Januar 2023 statt. Seitdem es ums liebe Geld geht, hakt es. Man habe zwar in vielen Fragen Annäherungen erzielt, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums unserer Redaktion. Die Frage des an die Kirchen zu zahlenden Ablösebetrags sei aber offen geblieben. Es sei deutlich geworden, dass „es angesichts unterschiedlicher Interessenlagen und Perspektiven der Länder und Kirchen auf das Thema notwendig ist, die Gespräche (…) fortzusetzen“, verlautet aus dem Bundesinnenministerium. Das heißt übersetzt: Zurzeit geht es nicht voran. Am Ziel, ein Gesetz vorzulegen, hält man im Innenministerium aber fest.
Das Problem aus Castelluccis Sicht: Kirchen und Länder seien nicht bereit gewesen, die Verhandlungen in Arbeitsgruppen fortzusetzen. Die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne, Baden-Württemberg) und Stephan Weil (SPD, Niedersachsen) lehnen die Ampel-Pläne ab, Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) wetterte gar gegen die „kirchenskeptische Ampel“.
Castellucci hofft, dass nach den Landtagswahlen im Oktober in Hessen und Bayern die Ländervertreter „wieder von den Bäumen kommen“. Klar ist: Es handele sich um eine Generationenaufgabe. Aus Castelluccis Sicht könne im Gesetz verankert werden, dass man bis zu zehn Jahre verhandelt und dann weitere 15 bis 20 Jahre die Summe abstottert. Strittig ist der Ablösefaktor, also die Frage, um welchen Faktor man die jährlichen Zahlungen multiplizieren soll, um auf die Endsumme zu kommen, mit der man die Kirchen ein für alle Mal entschädige. Ein früherer Gesetzentwurf aus dem Jahr 2020 sah den Faktor 18,6 vor. Andere berechneten einen Faktor neun. Castellucci hält alles zwischen neun und 19 für realistisch.
Das Land Baden-Württemberg sagt, es habe kein Geld dafür. „Wenn wir es nicht bezahlen können, wird das Projekt nicht zustande kommen“, sagte Kretschmann schon im Januar. „Ich wüsste nicht, wo wir das Geld herbekommen sollen“, betont er. Ist das Thema damit vorerst vom Tisch? Regierungssprecher Matthias Gauger betont gegenüber unserer Redaktion: „Das Land sieht in der gegenwärtigen krisenhaften Zeit und den damit verbundenen Belastungen für die öffentlichen Haushalte – Krieg in der Ukraine, Inflation, Klimawandel – andere Aufgaben als politisch vordringlich an.“ Und wenn es doch ans Zahlen gehen sollte? „Wichtig ist, dass der Bund die Leistungsfähigkeit der Länder bei der Festlegung der Höhe berücksichtigt“, sagt Regierungssprecher Gauger.
Castellucci widerspricht: Das Land Baden-Württemberg sei nicht klamm, es erziele derzeit sogar Überschüsse. Außerdem könne man die Ablösesumme ja über Jahre strecken. Der SPD-Bundespolitiker ermahnt die Länder, die Gespräche wieder aufzunehmen. „Unsere Verfassung gilt für alle, nicht nur für uns im Bund. Eine Haltung, die besagt: Wir warten, bis der Sturm an uns vorüberzieht, ist der Sache nicht angemessen.“ Man müsse ja gar nicht auf die Länder warten, droht er. „Wir lassen uns nicht austricksen oder das Gesetz auf die lange Bank schieben. Es ist kein zustimmungspflichtiges Gesetz. Wir können es einfach in den Bundestag einbringen und beschließen, dann findet es eben zu unseren Konditionen statt. Deshalb kann ich den Ländern nur raten: Bleibt mit uns im Gespräch, so haben wir die Chance, eine Lösung zu finden, die für alle Seiten tragfähig ist.“
Die Kirchen zeigen sich offen für die Gespräche. Martin Wollinsky, Fachreferent für Finanzen bei der Evangelischen Landeskirche Baden, hofft aber auf eine „faire Lösung“. Laufende Zahlungen zu ersetzen, sei nicht so einfach. Wollinsky setzt eher den Faktor 50 statt 20 an. „Wir sind offen für einen konstruktiven Prozess. Aber wenn bei der Gesetzgebung die Geschwindigkeit zulasten der Fairness geht, haben wir kein gesteigertes Interesse daran“, befindet er. Ein Ablösefaktor 20 sei jedenfalls weit entfernt von einer adäquaten Entschädigung, meint er.
Faktor 20? Faktor 50? Die Giordano-Bruno-Stiftung (GBS), die sich das Ende der Staatsleistungen auf die Fahnen geschrieben hat, winkt entrüstet ab. „Man kann die Leistungen an die Kirchen ohne jegliche weiteren Ablösezahlungen einstellen, weil die Beträge seit 1919 längst abbezahlt sind. Die Zahlungen sind einfach einzustellen, es braucht keine Ablöse, also Faktor null“, kontert Ulla Bonnekoh von der Karlsruher GBS-Gruppe. Der Bund müsse einfach härter verhandeln. „Wir möchten auch, dass weitere Interessensgruppen, unter anderen auch die Konfessionsfreien, in die Verhandlungen einbezogen werden.“ Bonnekoh hat auch einen Vorschlag, wie das Problem zu lösen sei: „Die Kirchen müssten nur auf ihre Forderungen verzichten und sich dazu bereiterklären, dass die Leistungen ersatzlos eingestellt werden. Sie würden das finanziell verkraften und es würde ihrem Image guttun.“