»Kreativitätsexplosion«
Gottesdienste im Internet: Gemeinden schalten sich zusammen, der Stream wechselt hin und her
Von dpa-Mitarbeiter JENS ALBES
WIESBADEN/FULDA. Nach drei Jahren Corona mit Lockdowns bewerten die Kirchen in Hessen die erzwungene Verlagerung ihres Wirkens ins kontaktlose Internet überwiegend positiv. »Insgesamt haben die digitalen Gottesdienste geradezu zu einer Kreativitätsexplosion geführt. Die Feiern wurden durch den digitalen Einsatz interaktiver, lebendiger und jünger«, erklärt etwa Pfarrer Volker Rahn von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN). Mit dem Abflauen der Pandemie setzen die Kirchen wieder auf traditionelle Gottesdienste, wollen aber vereinzelt auch an Übertragungen festhalten - dann meist als hybrides Format mit gestreamten Zusammenkünften in Präsenz.
Matthias Reger vom katholischen Bistum Fulda nennt dessen Livestreams »eine kreative Lösung, um durch die Corona-Krise zu kommen und dabei auch die Teilnahme an den Gottesdiensten zu ermöglichen. Die erzielten Reichweiten waren insgesamt sehr gut.« Daher seien auch weiterhin Livestreams von bestimmten Gottesdiensten denkbar.
Der Prälat der Evangelischen Landeskirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), Burkhard zur Nieden, freut sich nach eigenen Worten, dass oft auch kleine Gemeinden ihre Gottesdienste ins Netz verlagert haben. Pfarrer Lars Hillebold von der EKKW schätzt, dass es in seiner Landeskirche in den vergangenen drei Jahren mindestens rund 4500 gestreamte Gottesdienste mit jeweils 20 bis 200 Klicks gegeben hat.
Die digitalen Plattformen seien vielfältig: oft Youtube und Facebook, aber vereinzelt Instagram und Tiktok. Plus Chat-Kommunikation auf WhatsApp. Das Engagement im Netz hänge auch von den Persönlichkeiten und Fähigkeiten der Geistlichen ab. »Mitunter haben digitale Pfarrerinnen Follower im vier- und deutschlandweit wenige auch im fünfstelligen Bereich«, erklärt Hillebold. »Hier entsteht eine neue Logik kirchlicher Kommunikation.«
Pfarrer Rahn von der EKHN nennt zudem den Konferenzdienst Zoom und das Videoportal Vimeo für die Übertragung von Gottesdiensten. »Inzwischen gibt es auch Multi-Streams, bei denen parallel auf mehreren Kanälen gestreamt wird, um die Reichweite zu erhöhen«, ergänzt er. In der Corona-Zeit seien Tausende EKHN-Gottesdienste im Netz übertragen worden. Es seien aber auch »aufwendige Video-Produktionen beispielsweise mit prominenten Gästen oder externen Musikgruppen vorab produziert und dann gezeigt« worden.
Faszinierend fand Rahn nach eigener Aussage Gottesdienste, »bei denen sich mehrere Gemeinden zusammenschalteten und der Stream von Kirche zu Kirche wechselte - auch weltweit. In der Pandemie gab es immer wieder auch »Global Prayer« (weltweites Gebet) mit Hessen-Nassaus Partnerkirchen von USA bis Korea.« Dies soll beibehalten werden.
Laut Pfarrer Hillebold von der EKKW lernt Kirche »Digitalität neu und spürt zugleich deren Ambivalenzen. Sie lernt die Eigengesetzlichkeit des Digitalen und schätzt zugleich das Analoge auch wieder neu wert.« Hillebold urteilt: »Bei kirchlich zurückgehenden Ressourcen, mit dem Wissen um Veränderung und der zu lernenden Fähigkeit von »analog« und »digital« bewegt sich Kirche - wie alle Menschen - in einem achtsam wahrzunehmenden Spannungsfeld zwischen Aufbruch und Erschöpfung.«
Auch das katholische Bistum Mainz, das zu zwei Dritteln in Hessen liegt, sieht in Übertragungen von Gottesdiensten ins Netz »ein zusätzliches Angebot, das gerne von vielen Menschen wahrgenommen wird«. Auch noch die Osternacht und der Gottesdienst an Ostersonntag im Dom mit Besuchern vor Ort seien auf mehreren Kanälen gestreamt worden - mit 3250 (Osternacht) und 2500 Aufrufen (Ostersonntagsgottesdienst) alleine bei Youtube.
Laut Pfarrer Rahn wird die wöchentliche Andacht in der Verwaltung der EKHN in Darmstadt parallel per Zoom gestreamt. Damit erreiche sie fast fünfmal mehr Menschen als vor Corona: »Hier ist »hybrid« das neue Normal auch in geistlichen Fragen.« Internet hin, Internet her - zugleich betont der Sprecher des Bistums Fulda, Matthias Reger: »Vor allem freuen wir uns aber, Gottesdienste wieder ohne coronabedingte Einschränkungen feiern zu können.«