„Es braucht Angebote, die passen“
Evangelische Kirche: FN-Gespräch mit Dekanin Wibke Klomp über Kirchenaustritte, Sparzwang und Pläne für die Zukunft
Von Gerd WeimerWertheim/Main-Tauber-Kreis. Die Evangelische Kirche steht vor großen Herausforderungen. Einerseits sinken die Kirchensteuereinnahmen aus demografischen Gründen, andererseits treten immer mehr Mitglieder aus. Zudem will die Bundesregierung die Staatsleistungen, die als Folge der Säkularisation an die Kirchen gezahlt werden, ablösen. Die Evangelische Landeskirche in Baden hat schon Sparmaßnahmen eingeleitet. Die Kosten sollen bis 2036 um 30 Prozent sinken.
Die FN unterhielten sich mit Dekanin Wibke Klomp über die Folgen für die Arbeit im Kirchenbezirk, der räumlich von Freudenberg über Wertheim bis nach Königshofen reicht.
Wie wirken sich die sinkenden Finanzzahlen generell auf den Kirchenbezirk aus?
Wibke Klomp: Die sinkenden Mittel haben natürlich Konsequenzen für uns, in dem die Zuweisungen, die wir bekommen, im ersten Schritt stagnieren und dann auch sinken werden. Wir bekommen nach Kopfanzahl und nach Kirchengemeinden Zuweisungen und diese werden sinken.
In welchem Ausmaß?
Wibke Klomp: Im Moment sind die Mittel eingefroren oder sie steigen minimal, aber real sinken sie wegen der Inflation, der steigenden Personalkosten und den explodierenden Energiekosten. Der Mitgliederverlust wird gewiss weitere Auswirkungen auf unsere Mittel haben.
Hat das Auswirkungen auf die Gebäude?
Wibke Klomp: Die Landeskirche hat uns vorgegeben, dass wir Gebäude reduzieren müssen. Wir priorisieren gerade. Es wird künftig nur noch für ein Drittel der Gebäude landeskirchliche Zuschüsse geben. Wir haben im Bezirk 32 Gebäude. Von denen können wir auf der Prioritätenliste nur elf auf grün setzen. Für die gibt es Zuschüsse, wenn eine Sanierung ansteht. Wir werden angehalten, uns mindestens von einem Drittel zu trennen. Das heißt nicht, dass wir sie auflösen müssen. Die Kirchengemeinden müssen sie selbst finanzieren. Da kommen wir an unsere Grenzen, weil wir im Bezirk 21 Kirchen haben.
Es steht also wirklich im Raum, dass die Kirche Gebäude aufgibt beziehungsweise veräußert?
Wibke Klomp: Wir trennen uns von Gebäuden, die wir ohnehin nicht mehr nutzen. Es sind auch schon welche verkauft worden, zum Beispiel das Pfarrhaus in Niklashausen, das Gemeindehaus in Lauda, die Tauberbischofsheimer trennen sich gerade von ihrem Gemeindehaus. Es wird auch in Wertheim anstehen, aber Details kann ich noch nicht mitteilen, wir sind da miteinander auf dem Weg. In Wertheim werden sich mit der Einweihung des Kirchenzentrums auf dem Wartberg natürlich Prioritäten verschieben.
Wie sieht es mit den Pfarrstellen aus?
Wibke Klomp: Momentan sind wir gut besetzt. Wir schauen auch, wie wir das in Niklashausen/Höhefeld noch hinbekommen. Wir haben neue Kolleginnen und Kollegen gewinnen können, mit Pfarrerin Marie-Louise Scheuble eine junge Kollegin in Lauda, mit Pfarrer Uwe Sulger in Eichel-Hofgarten und Diakonin Elvira Ungefucht für den Wartberg. Die Planstellen sind zukunftsweisend gefüllt.
Wie wird das in zehn Jahren aussehen?
Wibke Klomp: Wir hatten im Kirchenbezirk 2020 12,5 Soll -Pfarrstellen und eine Diakonenstelle, zur Zeit sind wir mit 10,5 Pfarrstellen und zwei Diakoninnen besetzt. Bis 2032 soll die Zahl auf neun Stellen sinken, plus eine Diakonenstelle. Das ist übrigens sehr viel besser als der katholische Schnitt. Bei uns kommen zurzeit etwa 1600 Gemeindeglieder auf eine Pfarrstelle. Der landeskirchliche Durchschnitt liegt mindestens bei 2000. Bei den Katholiken sieht es leider schlechter aus. Dort müssen sich die Kollegen um viel mehr Kirchenmitglieder kümmern.
Wie gehen Sie mit der Reduzierung der Stellen um?
Wibke Klomp: Wir stärken die kollegiale Zusammenarbeit auch über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinweg. Da sind wir ganz toll aufgestellt. Das hat sich zwangsläufig durch Corona entwickelt. Daran halten wir fest. Es entstehen jetzt sogenannte Kooperationsräume im Kirchenbezirk. Zwei an der Zahl, einer im Norden und einer im Süden. Dort teilen sich die Kolleginnen und Kollegen auch einzelne Arbeitsbereiche.
Welche Arbeitsbereiche?
Wibke Klomp: Pfarrer Bernhard Ziegler von der Gemeinde Dertingen-Kembach-Dietenhan beispielsweise betreut auch die Wertheimer Rotkreuzklinik. Andere Kollegen werden dadurch entlastet. In Wertheim-Stadt leitet Pfarrerin Sophia Weber aus Bestenheid zentral die Konfirmandenarbeit. Pfarrer Uwe Sulger ist zuständig für die Notfall- und Polizeiseelsorge. Annegret Ade, Pfarrerin der Gemeinden Bettingen/Lindelbach/Urphar betreut das Wohnstift. Dadurch hat Herr Sulger Zeit für die Polizei- und Notfallseelsorge und kümmert sich auch auf dem Wartberg um den strukturellen Aufbau. Jede Ortsgemeinde hat ihre Pfarrerin oder Pfarrer. Ich ermutige zu gemeinsamen Angeboten. Da gibt es schon tolle Sachen. Im Süden des Bezirks gab beispielsweise einen gemeinsamen Bibeltag, zu dem Kinder aus der ganzen Region eingeladen waren. Wir haben auch ein bezirkliches Konfirmandenprojekt. Im Norden gibt es zwei Gruppen, und weitere zwei im Süden. Nicht alle Kollegen unterrichten. Wir haben größere Gruppen. Die Konfirmationen finden aber wie gewohnt in den Ortschaften statt. Die neuen Angebote sind auch attraktiver.
Wie ist unter den gegebenen Umständen die Seelsorge flächendeckend aufrechtzuerhalten?
Wibke Klomp: Wir werden weiterhin Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben, die Ansprechpartner sind. Nicht in jedem Dorf. Aber es wird ganz klar sein, für welchen Bereich jemand zuständig ist. Es gibt sozusagen das Gesicht vor Ort. Durch das Miteinander wird es auch ein zweites Gesicht geben.
Was bedeutet die finanzielle Entwicklung für die Kitas in kirchlicher Trägerschaft?
Wibke Klomp: Wir arbeiten an einem neuen Trägerkonzept und werden uns nicht aus der Kindergartenarbeit zurückziehen. Diese Arbeit ist uns wichtig. Wir wollen die Familien unterstützen, gerade jetzt nach Corona. Allerdings bereitet es uns Sorgen, wie sehr unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese Situation herausgefordert. Übrigens sind wir sehr enttäuscht darüber, dass der Landkreis die heilpädagogische Stelle nicht geschaffen hat. Das ist echt bitter. Wir müssen uns alle für die Kinder starkmachen. Die Auffälligkeiten bei den Kleinen haben wegen der Pandemie enorm zugenommen, viele waren ja über lange Zeit zu Hause. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir uns gemeinsam gesellschaftlich für den Kindergartenbereich engagieren, um die Folgen der Pandemie aufzufangen und den Kindern einen guten Start in die Schule zu ermöglichen.
Könnte es passieren, dass durch die finanzielle Situation die Kirche die Trägerschaft für Kindergärten aufgibt?
Wibke Klomp: Nein. Wir halten an der Trägerschaft fest, so lange wir das können. Es kostet uns momentan viel Kraft. Aber wir bekommen die Rückmeldung aus den Gemeinden, dass die Kindergartenarbeit sehr wichtig ist. Die Kindergärten sind ein bedeutender Faktor in unseren Ortschaften. Damit sind wir vor Ort für unsere Familien da. Wir möchten Feste gestalten, mit den Kindern zusammen unterwegs sein. Das ist einer unserer wichtigsten gesellschaftlichen Beiträge. Wir halten daran fest.
Wo sehen Sie eigentlich die Ursachen für die steigenden Austrittszahlen?
Wibke Klomp: Zum einen spüren wir den Fahrtwind der Ökumene. Über die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche und deren zögerlichen Aufarbeitung sind viele Menschen entsetzt. Es wird dann nicht differenziert, ob es die evangelische oder katholische Kirche ist.
Es gab auch Missbrauchsfälle in der evangelischen Kirche.
Wibke Klomp: Die gab es auch. Ich glaube aber, wir gehen damit konsequenter um. Zumindest hoffe ich es.
Welches sind andere Gründe für die steigenden Austrittszahlen?
Wibke Klomp: Die finanzielle Situation der Menschen spielt eine große Rolle, besonders die Geldentwertung. Manche treten aus der Kirche aus, weil die hohen Energiepreise enorm belastend sind. Das Haushaltsbudget ist zu klein. Man sucht nach Einsparpotenzial. Ich mache mir grundsätzliche Sorgen, weil die Kirchensteuer unser gesellschaftliches Handeln ermöglicht. Es geht auch um die Diakonie, die sich teils aus Spenden und über Fördervereine finanziert. Wir haben hier die Sozialberatung, die Schuldnerberatung, die Schwangerschaftsberatung. Da fließen natürlich auch kommunale Mittel hinein, aber eben viele Mittel aus der Kirchensteuer. Alle Angebote bei uns sind frei, unabhängig von der Mitgliedschaft. Wir prüfen nicht, ob Besucher der Gottesdienste Mitglied sind. Auch haben wir jahrelang Beerdigungen von Ausgetretenen durchgeführt, wenn uns die Angehörigen darum gebeten haben. Das werden wir nicht beibehalten können.
Was können Sie als Dekanin und Seelsorgerin tun, um die Entwicklung aufzuhalten?
Wibke Klomp: Ich lebe aus der Hoffnung des Evangeliums und motiviere meine Kolleginnen und Kollegen sowie die Gemeinden und Ehrenamtlichen mit den Menschen die Kirche vor Ort zu gestalten. Es braucht Angebote, die passen. Ein Beispiel: Wir haben in Wertheim das „Wertheimer Wohnzimmer“ ausprobiert, ein Treffpunkt für Geflüchtete und Einheimische. Projektbezogene Arbeit ist wichtig. Im Süden hat Pfarrerin Heike Kuhn eine „Popup-Church“ auf die Beine gestellt. Sie war in Tauberbischofsheim in der Fußgängerzone direkt bei den Menschen präsent. Und wir haben Formate wie den Mittendrin-Gottesdienst, der jetzt schon 20 Jahre alt wird. Ein Format, das über die Gemeindegrenze hinausgeht und mit thematischen Predigten eine eigene Zielgruppe anspricht. In der Stiftskirche gibt es seit über einem Jahr das Friedensgebet und hält dieses Thema wach. In Tauberbischofsheim haben wir in Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk einen Gottesdienst für Schwangere, auch auf der Höhe oder in Dertingen sind neue Formate entstanden. Zusammen mit der katholischen Kirchengemeinde wollen wir gemeinsam Angebote schaffen. Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz.
Hat die Landeskirche Konzepte in Bezug auf die Entwicklung? Bekommen Sie von dort Unterstützung?
Wibke Klomp: Ja, im Rahmen des Transformationsprozesses gibt es fachliche Unterstützung aus der Landeskirche, die dazugelernt hat. Im Rahmen dieses Prozesses bindet sie die Dekanschaft vor Ort ein. Das ist keine Einbahnstraße, wie es früher war, sondern unsere Erfahrungen werden abgefragt. Der Prozess ist fließend. Da korrigiert sich manches. Das ist neu und auch gut so. Wir dringen mit unseren Vorschlägen durch, werden gehört.