Rhein-Neckar-Zeitung - Heidelberger Nachrichten, 16.03.2023

 

„Viel zu lange geschwiegen“

Gedenken an deportierte Sinti und Roma im Südwesten

RNZ

Stuttgart. (epd) Am 15. März 1943 verließ ein erster Deportationszug mit 211 Sinti aus Württemberg und 22 aus Baden den Stuttgarter Nordbahnhof. Die Verschleppten wurden ins Konzentrationslager Auschwitz gebracht und fast alle ermordet. Am Mittwoch erinnerten Gedenkveranstaltungen in Stuttgart an sie und mahnten zur Solidarität mit Minderheiten.

In einem ökumenischen Gottesdienst sagte Bischof Gebhard Fürst, dieser Gottesdienst erinnere „mit schmerzlich geöffneten Augen“ der Verschleppten und insbesondere an 139 Kinder und Jugendliche. Nicht zu vergessen heiße, Verantwortung zu übernehmen für die Gegenwart und die Zukunft, sagte der Bischof. Es bedeute auch, Schuld zu bekennen und die Geschichte der Gewalt und des Versagens auch der Kirche aufzuarbeiten. Gerade heute sei die Frage wichtig: „Was tun wir, damit sich diese Taten nie wiederholen?“ Auch heute erlebten Sinti und Roma Hass, Gewalt und Diskriminierung im Alltag.

Die badische Landesbischöfin Heike Springhart verwies in ihrer Predigt auf die anhaltende Furcht von Sinti und Roma, diskriminiert zu werden. Sie forderte dazu auf, das Schweigen zu brechen. Sprachlosigkeit bereite den Boden auch für Gewalt. „Viel zu lange haben Christinnen und Christen geschwiegen zu dem, was Sinti und Roma angetan wurde. Erst spät, zu spät, hat die evangelische Kirche in Deutschland das Schweigen gebrochen.“

Am Vormittag hatte eine Gedenkstunde der Landesregierung stattgefunden. „Wir müssen als Gesellschaft mit der Last des Geschehenen umgehen. Und nicht nur die Erinnerung wachhalten, sondern auch daraus lernen“, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Daniel Strauß, Vorsitzender des Landesverbands Deutscher Sinti und Roma, sagte, vor 80 Jahren sei „gewaltsam ein Schlussstrich unter eine gemeinsame Geschichte von 500 Jahren gezogen“ worden. „Die gemeinsame Heimat von Deutschen, die Sinti oder Roma waren, und Deutschen, die es nicht waren, wurde zerstört.“

Die Deportationen von Sinti und Roma nach Auschwitz hatten bereits im Februar 1943 begonnen. Insgesamt wurden während der NS-Diktatur bis zu 500 000 Sinti und Roma ermordet.