Badische Zeitung Bad Säckingen, 07.01.2023

 

Kalte Kirchen als Antwort auf Putin

Kühle Kirchen, niedrigere Temperaturen in Pfarrbüros: Die Kirchen setzen im Zuge der Gas- und Ölkrise auf Energiesparen im beachtlichen Umfang.

KREIS LÖRRACH Bärbel Schäfer, Dekanin der evangelischen Landeskirche im Landkreis Lörrach hat in diesen Tagen immer einen „Notfallkoffer“ mit Sitzkissen und Wärmeflasche dabei, wenn sie zum Gottesdienst in einer der ausgekühlten Kirchen des Wiesentals anreist. Und in den Pfarrbüros der Katholischen Kirchengemeinde Lörrach-Inzlingen sind die Mitarbeitenden grad froh an Strickjacken und Wollpullis, seit die Bürotemperatur nur noch auf maximal 19 Grad hochgedreht werden darf. Dass Energie eingespart werden muss, weil Russland die Energieversorgung Europas als Reaktion auf die Unterstützung der Ukraine größtenteils eingestellt hat, ist bei den Kirchen im Landkreis kein hohler Glaubenssatz, sondern bittere Realität geworden.
Tatsächlich zählen aus Stein gebaute, kaum gedämmte Gotteshäuser im Wiesental und anderswo in Südbaden zu Energiefressern größeren Stils, weiß Pfarrgemeinderatsvorsitzender Wolfram Gniewosz von der Seelsorgeeinheit Mittleres Wiesental. Gniewosz ist im Hauptberuf Softwareentwickler für ein Lörracher Energieberatungsbüro, weiß also, wovon er spricht. Kirchen seien in der Regel riesige, schlecht isolierte Räume, die „Unmengen an Heizenergie verschlingen“, so der Diplomingenieur. Ein wirtschaftlich sinnvolles Heizen dieser Gebäude sei kaum möglich. Und energetisch seien sie leider kaum nachrüstbar.
In der Seelsorgeeinheit Mittleres Wiesental hat die katholische Kirche reagiert, seit sich Gas und Öl mit dem Ausbruch des Kriegs im Osten Europas so enorm verteuert haben. Derzeit würden zwischen Hausen, Schopfheim und Steinen aktuell wöchentlich nur noch zwei statt drei Gottesdiensten abgehalten, erzählt Pfarrgemeinderatsvorsitzender Gniewosz. Einer dieser Gottesdienste sei aus der Kirche in die besser beheizbaren Gemeinderäume verlagert worden. Aktuell werde nur noch eine der drei Kirchen abwechslungsweise beheizt. Die beiden anderen Kirchen würden „auf Frostschutz“ heruntergefahren, erläutert Gniewosz.
Joachim Giesler, Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde Lörrach-Inzlingen, berichtet dass man sich den Energiespar-Vorschlägen der Erzdiözese Freiburg angeschlossen habe. „Dies beinhaltet hauptsächlich, dass die Kirchen zum Gottesdienst am Sonntag auf 10 Grad geheizt werden und unter der Woche gar nicht.“ Auch würden die Pfarrbüros derzeit auf lediglich 19 Grad erwärmt und Flure nicht beheizt.
Einen etwas weniger strengen Kurs hat bislang die evangelische Kirche gefahren: Die Kirchen blieben offen und geheizt, Gottesdienste in Gemeindehäusern waren die Ausnahme. Während der Weihnachtsgottesdienste seien aber die Temperaturen in den Kirchen auf 14 bis 16 Grad abgesenkt worden, erzählt Dekanin Bärbel Schäfer. Schäfer: „Wir wollten den Menschen den Kirchenbesuch nicht noch zusätzlich vergällen.“ Die Gemeindezentren würden erst seit Jahresbeginn verstärkt für Gottesdienste mitgenutzt.
Die evangelischen Kirchengemeinden haben einen gewissen Spielraum bei der Umsetzung der Energieeinsparungen. Auf die verschärfte Situation habe man in den Gemeinden Egringen-Mappach-Wintersweiler reagiert, indem seit November nur noch in der kleinen, und gut beheizbaren Kirche von Wintersweiler Gottesdienste abgehalten werden, erzählt Pfarrer Martin Braukmann. Eine Ausnahme bildeten die wichtigen kirchlichen Feiertage. Der Thermostat sei dabei auf 18 bis 19 Grad eingestellt.
Eine Rückkehr zum warmen Status quo ante wird es wohl nicht mehr geben. Der Spardruck, der auf den Kirchen lastet, sei schließlich durch die aktuellen Entwicklungen lediglich befeuert worden, erläutert Dekanin Schäfer. Mit der Strategie „Kirche 2032“ habe die Landeskirche Baden denn auch schon vor Ausbruch des Ukrainekriegs ein Sparkonzept entwickelt. Darin ist etwa geplant, dass einige Kirchen aufgegeben werden sollen und die Gemeindezentren klimatechnisch umgestaltet werden müssen. Auch für die katholische Kirche sieht Klimaexperte Gniewosz den Winter 2022/23 als Anfang einer Entwicklung hin zu einem bewussteren Umgang mit der Heizenergie. Angesichts des Klimawandels sei es wohl auch vermessen „die Kirchen weiter im Komfortbereich halten zu wollen“.
Zumindest aus der älteren, leiderfahrenen Generation scheint die Kirche durchaus auch Unterstützung zu erfahren. Sie würden einen Gottesdienst in einer ungeheizten Kirche dem in einem warmen Gemeindezentrum vorziehen, hätten ihm einige betagte Gemeindeglieder rückgemeldet, erzählt Wolfram Gniewosz. Und dabei an die schon damals eiskalten Kirchen in den ersten Wintern nach dem Zweiten Weltkrieg erinnert.