Rhein-Neckar-Zeitung - Heidelberger Nachrichten, 12.12.2022

 

„Das schreit zum Himmel!“

Gedenk-Gottesdienst für Johannes Sylvanus – Landesbischöfin Springhart: „Es gibt auch heute noch öffentliche Hinrichtungen“

Von Birgit Sommer

Die Freiheit des Gewissens, der Streit zwischen verwandten Religionen, die Todesstrafe – ob die Welt heute so viel weiter ist als vor 450 Jahren, als der protestantische Pfarrer Johannes Sylvanus auf dem Heidelberger Marktplatz enthauptet wurde?

Beim Gedenkgottesdienst am Sonntag in der Heiliggeistkirche für Sylvanus, der am 23. Dezember 1572 vor den Augen seiner Kinder starb, war man sich nicht so sicher. „So ist der Glaube“, sagte die badische Landesbischöfin Heike Springhart in ihrer Predigt, „wer Fragen stellt, ist unbequem.“ Auf anderen Marktplätzen als in Heidelberg werde sehr wohl noch aus religiösen Gründen gemordet, beklagte sie, und auch öffentliche Hinrichtungen gebe es noch, real und erst recht in den sozialen Medien. Aber sie predigte auch die tröstende Botschaft von einem Gott, der Wege ebnen und Frieden bringen werde und den Entrechteten endlich Gerechtigkeit.

Heike Springhart, seit April dieses Jahres Landesbischöfin, kam nicht zum ersten Mal nach Heidelberg und in die Heiliggeistkirche. Hier war sie schon als wissenschaftliche Assistentin an der Theologischen Fakultät tätig, hier hatte sie auch als Privatdozentin und als Studienleiterin am Theologischen Studienhaus gearbeitet.

Das Schicksal des Johannes Sylvanus, der vom katholischen Domprediger in Würzburg zum württembergischen Lutheraner und Zwinglianer wurde und 1567 als Pfarrer nach Ladenburg kam, wurde den Gottesdienstbesuchern in einem Dialog nahegebracht. Der Neckargemünder Pfarrer und Kirchenrat im Ruhestand, Manfred Kuhn, hatte Sylvanus schon als Thema seiner Dissertation gewählt.

Auf dieser Grundlage hatte der Kabarettist und Musiker Arnim Töpel aus Walldorf sein neues Buch „Voll fagnoddlt“ entworfen. Aus dem „echt harten Stoff“ formte er den achten Fall für seinen Kommissar „Günda“, bei dem es um Glaube und Liebe geht. „Ich wollte keinen historischen Roman schreiben“, meinte Töpel, der den Plot einfach in die Jetztzeit verschob und ihn auf verschiedenen Ebenen abhandelte.

Nur die Tafel, die auf dem Heidelberger Marktplatz an die Hinrichtungsszene von 1572 erinnert und über die der „Günda“ stolpert, gibt es bis heute nicht. Und ein richtiger Krimi ist der achte Fall des Schriftstellers, der die kurpfälzische Mundart pflegt, eigentlich auch nicht. Der Kommissar rätselt eher über philosophische Fragen wie: „Woher weiß ich, was ich glaube?“ Für ihn sei das Buch wie eine Rückkehr zu seinen Anfängen, erklärte Arnim Töpel im Gespräch mit der RNZ. „Alles, was ich heute mache, hat in der evangelischen Kirche begonnen, mit Jugendarbeit, Theater, Musik.“

So war der Theologe Manfred Kuhn beim Dialog selbst für die historischen Einblicke zuständig, etwa in das Dogma der Dreieinigkeit, das die Reformatoren Calvin und Zwingli damals unterschiedlich interpretierten. Ihre Anhänger rauften sich erst später zu den Reformierten zusammen. Oder für den Blick auf Sylvanus’ Aktivitäten auf dem Reichstag zu Speyer und dessen Wunsch, nach Siebenbürgen auszuwandern, wo sich mehr Glaubensgenossen befanden. Und auf die falsche Sicherheit, in der er sich wiegte – dass nämlich der Heidelberger Kurfürst Friedrich III. ihn zu sehr schätze, um ihn tatsächlich hinrichten zu lassen.

Der Blick in die Geschichte könne unsere Haltung heute stärken, fand Citykirchenpfarrer Vincenzo Petracca, der den Gottesdienst leitete. Die Freiheit des Gewissens und der Religion sei Grundlage unserer Gesellschaft und Kirche, unterstrich er. Dass es heute noch in so manchen Ländern der Erde die Todesstrafe gebe – „das schreit zum Himmel!“