BADISCHE NEUESTE NACHRICHTEN Karlsruhe, 30.11.2022

 

Kein Grund zum Feiern

Ekart Kinkel

Vesperkirche legt die sozialen Probleme schonungslos offen

Bereits zum zehnten Mal geht die Vesperkirche Karlsruhe Anfang 2023 über die Bühne. Die Organisation wurde seit der Premiere 2014 ebenso optimiert wie das Angebot für die Bedürftigen. Selbst von der Corona-Pandemie ließ sich das Vesperkirchen-Team um Pfarrerin Lara Pflaumbaum nicht ausbremsen und im kommenden Jahr werden aller Voraussicht mehr warme Mittagessen verteilt als jemals zuvor. Ein Grund zum Feiern? Auf keinen Fall! Denn der große Andrang bei der Vesperkirche legt vor allem die sozialen Probleme in einer wohlhabenden Stadt wie Karlsruhe schonungslos offen.

Natürlich ist klar, dass eine Vesperkirche auch in einem funktionierenden Sozialstaat eine wichtige Säule des gesellschaftlichen Zusammenhalts und viel mehr als eine bloße Armenspeisung ist. Gespräche gegen die Einsamkeit sind ebenso ein zentraler Bestandteil des kirchlichen Hilfsangebots wie die seelische Unterstützung von Menschen mit sozialen und psychischen Problemen. Dass die Zahl der Bedürftigen trotz niedriger Arbeitslosenzahlen und einem Mindestlohn von zwölf Euro pro Stunde während der derzeitigen Krisen zunimmt, und sich manche Rentner auch nach 40 Jahren Arbeit kein warmes Mittagessen leisten können, zeigt vor allem eines: wie schmal der Grat zwischen Wohlstand und Armut in Deutschland noch immer ist.

Auch deshalb kümmern sich in Karlsruhe seit vielen Jahren zahlreiche Organisationen und Verbände um die Menschen am Rande der Gesellschaft. Wohnungslose erhalten ebenso unbürokratisch Unterstützung wie Suchtkranke und die Opfer von häuslicher Gewalt. Und an den drei Karlsruher Tafelläden stehen die Menschen jeden Tag für Grundnahrungsmittel und ein Stück Schokolade Schlange. Die Vesperkirche gibt diesen Menschen jedes Jahr auch ein Gesicht. Und, was noch viel wichtiger ist als ein warmes Essen oder eine Daunenjacke: sie gibt den Menschen ihre Würde zurück.