Badische Zeitung Freiburg im Breisgau, 09.08.2022

 

Schwere Vorwürfe gegen Bischof

Früherer Freiburger Priester Stehle soll Missbrauchstäter gewesen sein und verdächtige Mitbrüder in Lateinamerika versteckt haben

FREIBURG. Der aus dem Erzbistum Freiburg stammende und 2017 in Konstanz gestorbene Emil Stehle soll als Priester in Deutschland und in Lateinamerika noch als Weihbischof und als Bischof in insgesamt mindestens 16 Fällen sexuellen Missbrauch begangen haben. Zumindest drei Mitbrüder, von denen zwei ebenfalls unter Missbrauchsverdacht stehen, soll Stehle mit Tarnnamen in Lateinamerika vor deutscher Strafverfolgung versteckt haben.

Von Gerhard Kiefer

Diese Bilanz wiegt nun deutlich schwerer als die im Frühjahr erstmals bekannt gewordenen Vorwürfe gegen den bis ans Lebensende hoch geachteten Theologen. Sie ergibt sich aus einer am Montag veröffentlichten gemeinsamen Stellungnahme der Deutschen Bischofskonferenz und der Bischöflichen Aktion „Adveniat“. Sie basiert auf einer unabhängigen, fachlichen und systematischen Untersuchung der Akten der Koordinierungsstelle „Fidei Donum“ im Auftrag der Bischofskonferenz und in der Verantwortung der Kölner Rechtsanwältin und Mediatorin Bettina Janssen.

Das Fazit der Aktenuntersuchung nennt „insgesamt 16 Meldungen und Hinweise zu sexuellem Missbrauch“ in Stehles Zeit als Priester in Bogotá in Ko-lumbien, als Leiter der Koordinierungsstelle und als „Adveniat“-Geschäftsführer in Essen sowie später als Weihbischof von Quito und als Bischof von Santo Domingo in Ecuador. Die Sichtung der Akten lasse es überdies als möglich erscheinen, „dass es weitere sexuelle Übergriffe durch Stehle gab“.

Die promovierte Kölner Juristin Janssen schließt ebenfalls nicht aus, dass Stehle als Leiter der „Fidei-Donum“-Geschäftsstelle nicht nur den beiden bekannten Sexualtätern „in Lateinamerika zur Tarnung verhalf, was aber in den Akten, weil heikel“, nicht dokumentiert worden sei. Sie fordert deshalb „sensible Anstrengungen, um zusammen mit den zuständigen lateinamerikanischen Bistümern mögliche Betroffene zu erreichen“. Um ein vollständiges Bild zu erhalten, sei auch der Frage nachzugehen, „inwieweit Übergriffe Stehles den zuständigen kirchlichen Stellen bekannt waren und welche Konsequenzen sie dagegen ergriffen haben“ – doch dazu fänden sich in den ihr vorgelegten Akten kaum Hinweise.
Für Beate Gilles, die Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz, kann der Untersuchungsbericht deshalb kein Schlusspunkt sein – die Entsendung von Priestern und anderem Pastoralpersonal müsse „kritisch reflektiert werden“. Der Jesuit Martin Maier, derzeit als Leiter der Koordinierungsstelle von „Fidei Donum“ und als „Adveniat“-Hauptgeschäftsführer einer der Nachfolger Stehles, begrüßt, dass die Untersuchung „Licht ins Dunkel des Unrechts bringt. Sie gehört zur Wahrheit, der wir uns als Kirche in Deutschland und weltweit stellen müssen. Das Leid, das den Opfern sexualisierter Gewalt und des Machtmissbrauchs angetan wurde, erschüttert uns zutiefst und wir bitten sie um Entschuldigung.“ Emil Stehle sei „zum Täter sexualisierter Gewalt und Machtmissbrauch sowie zum Komplizen gesuchter Täter geworden“.

Nicht weniger deutlich bezog am Montag Marc Mudrak Position. Die Anschuldigungen seien, so formulierte der Mediensprecher von Erzbischof Stephan Burger, „schwerwiegend, sie machen fassungslos und wütend“. Immerhin bringe die Untersuchung im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz zusammen mit „Adveniat“ nun Licht ins Dunkel. „Für die Erzdiözese Freiburg ist klar, dass wir in allen Fällen des Missbrauchs an der Seite der Betroffenen stehen und diese mit allem unterstützen, was uns zur Verfügung steht“, so der Sprecher des Erzbischofs: „Der Fall Stehle bestärkt die Verantwortlichen in der Erzdiözese, im Bereich ihrer Zuständigkeit die Aufarbeitung von Missbrauch und den Umgang damit in der Vergangenheit weiter mit Nachdruck voranzutreiben.“
Emil Stehle ist neben dem 1988 gestorbenen Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen der zweite deutsche Bischof, der nicht nur beschuldigt wird, Missbrauch von Mitbrüdern vertuscht, sondern im Amt selbst missbraucht zu haben.
Unter dem Namen „Fidei Donum“ („Geschenk des Glaubens“) sind seit 1965 etwa 400 Priester von ihren deutschen Bistümern nach Lateinamerika entsandt worden. Die von der Deutschen Bischofskonferenz 1971 eingerichtete und 1973 bei „Adveniat“ angesiedelte Koordinationsstelle soll diese Priester in ihrem Dienst in Lateinamerika begleiten. Von ihr organisierte Jahrestreffen dienen dem Austausch und sozialen Zusammenhalt der „Fidei Donum“-Seelsorger.